Cover
Titel
Mittäterinnen. Frauen und Staatssicherheit


Autor(en)
Schmole, Angela
Reihe
Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin
Erschienen
Anzahl Seiten
452 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel R. Bonenkamp, Historisches Seminar, Universität Münster

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) steht für vierzig Jahre Repression in der DDR. Als „Schild und Schwert der Partei“ hatte die Stasi die Aufgabe, die nicht demokratisch legitimierte Herrschaft der SED abzusichern. Bereits in den 1990er-Jahren machte sich die Forschung daran, die Belegschaft eingehender zu untersuchen.1 Zuletzt erschien eine Studie, die sich aus der Perspektive der interpretativen Sozialforschung mit dem Selbstverständnis der Mitarbeiterinnen auseinandersetzt.2 Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfuhren bislang hingegen die Frauen im MfS. Hier schließt das vorliegende Buch von Angela Schmole an. Die langjährige Mitarbeiterin des Stasi-Unterlagen-Archivs baut dabei auf eigenen Vorarbeiten auf: Zum einen stützt sie sich auf ihre Magisterarbeit aus dem Jahr 2002 und zum anderen auf zahlreiche Aufsätze, die sie zur ersten Frauengeneration im MfS oder zu den Ehefrauen der Minister publiziert hat.3

Passend zum Buchtitel bezieht sie sich auf die Mittäterschaftsthese von Christina Thürmer-Rohr, die „das Handeln von Frauen in einer männlich dominierten Gesellschaft“ sowie „die Frage nach den Ursachen weiblicher Mittäterschaft“ aufgreift (S. 23). Schmole definiert Mittäterschaft als „Verstrickung in die Normalität der Männergesellschaft“ (S. 23f.) und als eine „Loyalität mit dem Mann und seiner Gesellschaft, Zustimmung zu seiner Herrschaft“ (S. 307). Sie beschäftigt sich in ihrem Buch mit der Tätigkeit von Frauen für die Geheimpolizei und „den Versuchen der dortigen Verantwortungsträger, den Maximen der SED-Gleichstellungsprogramme gerecht zu werden“ (S. 9). Das Material besteht vor allem aus Kaderakten, ergänzt durch weiteres „MfS-Schriftgut“, basierend auf einer „mehrjährige[n] Recherche“ (S. 14). Protagonistinnen sind dabei neben den hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiterinnen auch die „Kundschafterinnen des Friedens“ im sozialistischen Ausland oder „Offiziere im besonderen Einsatz“. Des Weiteren bezieht Schmole die Rolle von Ehefrauen und Partnerinnen mit in die Analyse ein; insbesondere die von hohen MfS-Offizieren.

Direkt zu Beginn fragt Schmole, was Frauen dazu bewog, sich „in einer militärischen Struktur wie das Ministerium für Staatssicherheit zu engagieren“ und inwiefern sich diese Motive von denen ihrer Kollegen unterschieden (S. 11). In welchen Bereichen sind Mitarbeiterinnen eingesetzt worden? Gab es beim Einsatz als inoffizielle Mitarbeiterinnen bestimmte Schwerpunkttätigkeiten? Die Historikerin interessiert sich für Differenzen bei der bürokratischen Einordnung in den Sicherheitsapparat, für etwaige Benachteiligungen im Dienst sowie für die Behandlung von Frauen nach erfolglosen Fluchtversuchen beziehungsweise für deren Verhaftungen als Oppositionelle. Dabei führt sie die Kategorie Geschlecht an, allerdings ohne den Begriff genauer zu definieren. Sie fragt, inwieweit er „als analytische Kategorie die Untersuchung trägt oder ob sich andere Zuordnungen besser eignen“ (S. 11). „Doch wenn ‚weibliche wie männliche Täter gleich oder ähnlich‘ handelten“, so die Historikerin weiter, „würde dann ‚die Kategorie Geschlecht bedeutungslos‘ sein“ (S. 12)? Die Autorin verwendet den Begriff folglich im Sinne einer Binarität der Geschlechter – verzichtet aber darauf, seine Komplexität und gesellschaftliche Konstruiertheit entsprechend auszuloten. Eine Genderstudie müsste auch, Ilko-Sascha Kowalczuk folgend, mehr sein, „als nach Statistiken und Rollenzuschreibungen zu fragen und nach einschlägigen Zitaten zu fahnden“.4

Ausgangspunkt für Schmoles Untersuchung ist „die weibliche Erfahrungswelt in der Vor- und Frühgeschichte der DDR, in der die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Strukturen noch nicht verfestigt waren“ (S. 13). Das Buch beginnt mit einem kurzen Kapitel zur rechtlichen Stellung der Frau nach dem Zweiten Weltkrieg und zu Beginn der deutschen Teilung. Daran schließt ein Abschnitt zur MfS-Frauengeschichte an, der die 40-jährige Existenz der ostdeutschen Geheimpolizei beleuchten soll. Bereits hier streut Schmole zahlreiche Fallbeispiele ein, die durch kurze inhaltliche Kapitel flankiert werden, wie beispielsweise zur Ausbildung und zu Aufstiegschancen für Frauen im MfS oder zum Frauenkommuniqué der SED zu Beginn der 1960er-Jahre. Für die Frauenkommission im MfS hebt Schmole sogenannte Frauenbeauftragte hervor, wobei unklar bleibt, ob es sich dabei um einen Quellenbegriff oder um eine selbst gewählte Bezeichnung handelt.

Im dritten Kapitel folgt ein Überblick über die Verteilung von Frauen in den einzelnen Abteilungen, wiederum unterbrochen durch kurze Erklärungen zum Aufgabenprofil der jeweiligen Diensteinheiten. Daran knüpft ein Kapitel zu den hochrangigen MfS-Mitarbeiterinnen an, die unter den „oberen Zweitausend“ firmierten; ein Begriff, der sich auf das Gehaltsgefüge im Apparat bezieht. Hieran schließen sich zwei Untersuchungskomplexe an, die sich in der Gliederung zwar in zwei unterschiedliche Abschnitte teilen, inhaltlich jedoch nahe beieinander liegen: die Ehefrauen und Freundinnen der Mitarbeiter sowie die Ehefrauen der MfS-Minister. Sodann folgt ein kurzer Einschub zu den Geschlechterverhältnissen bei der Staatssicherheit, wobei entsprechende Erläuterungen zu einem früheren Zeitpunkt zu einer besseren Einordnung der Biografien hätten beitragen können. Die letzten beiden Abschnitte thematisieren die inoffiziellen Mitarbeiterinnen sowie das Auftreten der Geheimpolizei gegenüber ausreisewilligen beziehungsweise oppositionellen Frauen.

Mit einem mikroperspektivischen Blickwinkel verleiht Angela Schmole den „Mittäterinnen“ im MfS erste Konturen. Hervorzuheben ist die umfangreiche Quellenrecherche. Die Fallbeispiele (oft mit Foto) bieten Gelegenheit, sich die Protagonistinnen nicht nur bildlich vor Augen zu führen und einen Eindruck über diejenigen zu bekommen, die für die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung mitverantwortlich waren. Auch ergänzen die umfangreichen Ausführungen zu den Arbeitsgebieten und der Tätigkeit von Frauen im MfS die bisherigen Arbeiten zu Organisationsstrukturen der Stasi5 sowie zum bisher fast ausschließlich männlich zusammengestellten Register „Wer war wer“ bei der Staatssicherheit.6

Der Drang zur enzyklopädischen Breite steht mitunter einer systematisierten Zusammenfassung des Untersuchungsgegenstands im Wege. Angela Schmole versäumt es, die jeweiligen Lebenszeugnisse zusammenzuführen und Differenzen sowie Gemeinsamkeiten zu benennen. Ein abschließendes Resümee fehlt sogar ganz. So kommen die Lebensläufe wie Inseln in einem großen Ozean daher, den die Historikerin nicht wirklich als ein Ganzes zu kartografieren vermag. Wer systematische Aufarbeitung einer weiblichen Mittäterschaft erwartet, wird enttäuscht, da erst eine Verknüpfung der Ergebnisse ein entsprechendes Bild gezeichnet hätte. Das Versprechen aus dem Titel wird daher nur begrenzt erfüllt, die Frage nach einer Täterinnenschaft und die Folgen einer solchen nur unzureichend beantwortet. Die Quellen erlaubten es nur eingeschränkt, urteilt die Verfasserin selbst, „die Motive der beschriebenen Frauen zu bestimmen“ (S. 277). Es bleibe daher unklar, „welcher letzte Grund Frauen bewog, dem Mann uneingeschränkt zur Seite zu stehen“ (S. 280).

Die Untersuchung bietet nur wenige Anknüpfungspunkte für zukünftige Studien, da Angela Schmole trotz ihrer umfangreichen Quellenrecherche relevante Akteure nicht benennt, wie etwa „zeitgenössische Militärexperten“ (S. 9) oder etliche „KP-Führer“ (S. 28). Auch lässt sie oft aussagekräftige Verweise vermissen. So fehlen diese seitenweise gerade in einem der wenigen gewinnbringenden Analysekapitel zu den „oberen Zweitausend“ (S. 244f.). Die Akteurinnen dieser Untersuchungsgruppe werden erst im Anhang aufgelistet, obwohl gerade hier die Einbettung einiger Lebensläufe hilfreich gewesen wäre. Zudem führt Schmole den Fund von 384 Aktentiteln zum Thema „Frauen im MfS“ bei der Bezirksverwaltung Frankfurt (Oder) nicht weiter aus, insbesondere sucht sie nicht nach Gründen, warum sich gerade dort relevante Dokumente so zahlreich bündelten. Gleiches gilt für einen Generationenkonflikt zwischen den Mitarbeitenden etwa bei der Einführung der 40-Stunden-Woche für Frauen. Auch zu einer Erpressung des ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel als „prominentes Opfer der inoffiziellen Mitarbeiterinnen“ fehlen notwendige Ausführungen (S. 35). Barschel war 1987 unter noch nicht vollständig geklärten Gründen tot aufgefunden worden. Trotz manch interessanter und penibel recherchierter Einblicke zu einem wichtigen Thema bringt das Werk den wissenschaftlichen Forschungsstand nur begrenzt voran.

Anmerkungen:
1 Siehe beispielsweise Jens Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit. Personalstruktur und Lebenswelt 1950–1989/90, Berlin 2000.
2 Uwe Krähnke u. a., Im Dienst der Staatssicherheit. Eine soziologische Studie über die hauptamtlichen Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes, Frankfurt am Main 2017.
3 Auswahl: Angela Schmole, Die Spitzenfrauen des MfS. Bei der Staatssicherheit diente das weibliche Personal nur selten in gehobenen Stellen, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 18 (2005), S. 107–114; dies., Die Ehefrauen der MfS-Minister, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 45 (2020), S. 117–130; dies., Die erste Frauengeneration im MfS, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 47 (2021), S. 62–84.
4 Ilko-Sascha Kowalczuk, Stasi konkret. Überwachung und Repression in der DDR, München 2013, S. 18.
5 Roland Wiedmann u. a., Die Organisationsstruktur des Ministeriums für Staatssicherheit 1989 (MfS-Handbuch), Berlin 2018; ders., Die Diensteinheiten des MfS 1950–1989. Eine organisatorische Übersicht, Berlin 2012.
6 Jens Gieseke, Wer war wer im Ministerium für Staatssicherheit (MfS-Handbuch), Berlin 2012.

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